Russlands Kriegspläne sind allerdings alles andere als nach Wunsch verlaufen. Einen Sieg über die Ukraine kann Russlands Präsident am 9. Mai nicht zelebrieren. Putin hat einen Blitzkrieg geplant, der dann zu einem Blitzsieg führen sollte. Aber sein “Spaziergang” nach Kiew hat sich als schwierig erwiesen. Während sich die russische Armee festfuhr, erzielte Putin das Gegenteil von dem, was er eigentlich erreichen wollte. Statt die ukrainische Regierung zu stürzen und ein Marionettenregime zu installieren, hat Russlands Angriff dazu beigetragen, spätestens jetzt aus der Ukraine einen wirklichen Nationalstaat zu machen und die Idee der ukrainischen Nation zu festigen. Putin steht nun gewaltig unter Druck.Mit “Das deutsch-russische Jahrhundert. Geschichte einer besonderen Beziehung” haben Sie vor Kurzem ein Buch über das Verhältnis unserer beiden Länder veröffentlicht. Der besagte 9. Mai spielt dabei eine wichtige Rolle: Was bedeutet dieser Tag genau für Russland und wie wird er vom Regime instrumentalisiert? Der Sieg über das nationalsozialistische Deutschland, über den “Hitlerfaschismus”, wie es in der offiziellen russischen Formel lautet, ist nicht nur der größte Sieg in der Geschichte der Sowjetunion, sondern in der Geschichte Russlands überhaupt. Über lange Phasen des Zweiten Weltkriegs hat die damalige Sowjetunion die Hauptlast im Kampf gegen das Deutsche Reich getragen.Stefan Creuzberger, Jahrgang 1961, lehrt Zeitgeschichte an der Universität Rostock und leitet zugleich die Forschungs- und Dokumentationsstelle des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland. Der Historiker ist Experte für die Geschichte Russlands und unter anderem Mitherausgeber der Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland sowie Mitglied der Deutsch-Russischen Geschichtskommission. Kürzlich erschien Creuzbergers große Darstellung “Das deutsch-russische Jahrhundert. Geschichte einer besonderen Beziehung“, mit der er für den Deutschen Sachbuchpreis 2022 nominiert worden ist.Und Russland hatte auch die meisten Toten zu beklagen.Die Sowjetunion leistete einen gewaltigen Blutzoll. Fast 27 Millionen Sowjetbürgerinnen und Sowjetbürger haben im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren, davon waren mehr als 15 Millionen Zivilisten. Besonders betroffen waren Belarus und eben die Ukraine, die damals Sowjetrepubliken gewesen sind. Aus dem Grund, weil sich dort ein Großteil des Kampfgeschehens abgespielt hat.Und die Nationalsozialisten einen besonders grausamen Krieg gegen die Sowjetunion und ihre Menschen austrugen.Hitler und die Nationalsozialisten führten einen rassenideologischen Vernichtungskrieg im Osten Europas. Auf dem Gebiet der Sowjetunion sind zahlreiche der Mordtaten des Holocaust durchgeführt worden. Aber auch die Slawen galten den Deutschen als “Untermenschen”, das Land wurde systematisch ohne Rücksicht auf die Bevölkerung ausgeplündert und zerstört. Nicht zu Unrecht spricht man von “Bloodlands”, von “Blutländern”.Wladimir Putins Geburtsstadt Leningrad, das heutige St. Petersburg, sollte zudem während einer fast 900 Tage währenden Blockade ausgehungert werden. Rund eine Million Menschen starben dabei.Und genau diese Erfahrungen machten und machen den 9. Mai 1945 so wichtig. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs trieb Stalin seine Truppen mit aller Gewalt Richtung Berlin, um als Erster die deutsche Hauptstadt einzunehmen. Das war ein gewaltiger symbolischer Sieg für die UdSSR. Noch wichtiger war dann die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 9. Mai in Berlin-Karlshorst.
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